I n t e r v i e w
„KUNST RETTET DIE MENSCHLICHKEIT“
Interview mit Ippazio Fracasso-Baacke
D.B.: Zunächst möchte ich doch gern wissen, warum Du
unser Gespräch
über Kunst grade hier in der Trattoria ‚Madonna‘ haben
wolltest?
I.F.: Nun, erstens mag ich diese
Trattoria besonders gern. Sie hängt voller Bilder,
die Künstler gestiftet haben, wenn sie ihr Essen nicht bezahlen konnten.
Manche haben auch von sich aus Bilder gestiftet.
Dann wird hier hervorragend gekocht,
echt venezianisch. Und das Lokal ist so richtig italienisch
und trotzdem international.
Man hört alle Sprachen und läßt sich von einer sehr
höflichen Bedienung freundlich behandeln.
D.B.: Du bist auch selbst ein guter Koch
...
I.F.: ...ja, auch das ist
übrigens eine Kunst. Die Italiener haben vor den Franzosen
das gute und gesunde Essen entdeckt. Leider denken die Deutschen immer nur
an Pizza und billigen Chianti - aber die italienische Küche kann viel mehr bieten,
wie hier in der Trattoria. Kochen und Essen in guter Atmosphäre
und mit viel Zeit gehört für mich zu einem guten und sinnvollen Leben
und ist insofern auch eine besondere Art von Kunst
...
D.B.: ... wobei wir beim Thema wären: Du
wolltest erzählen,
was Dir so durch den Kopf geht, während Du
malst.
I.F.: Zuviel, als daß
ich Dir alles erzählen könnte. Meist höre ich ja Musik,
entweder klassische (am l liebsten Opernarien, aber auch Symphonien oder
etwas Modernes von Stockhausen) oder Pop-Musik,
und dabei fliegen die Gedanken sofort. Was mir öfter
durch den Kopf geht ist zum Beispiel,
daß es ein Irrtum ist, wenn viele denken, die Künstler hätten
ein freies und angenehmes Leben.
Erstens ist es wirklich sehr schwer, in diesem Job Geld zu verdienen,
und viele nagen ja auch am Hungertuch (ich Gott sei Dank nicht).
Aber es ist sehr anstrengend, eine Bildidee dann
auf der Leinwand so umzusetzen,
daß sie auch der Phantasie entspricht, die Du von dem Bild hast.
Farben, Formen, Linien - immer wieder wirst Du unruhig,
möchtest Du etwas anderes ausprobieren, eine andere Farbe etwa,
das ist eine ungeheure Anspannung. Wenn ich begonnen habe zu malen,
kann ich meist nicht aufhören und male 8-10 Stunden ohne Pause.
Dann bin ich total erschöpft und im günstigen Fall
einigermaßen zufrieden mit der Tagesleistung.
Aber ich habe immer diese nagenden Zweifel, ob ich es nicht noch besser,
auch anders machen könnte. Dann gehe ich wieder ans Bild,
ändere manches und werde immer unsicherer.
Malen ist eine schreckliche psychische Belastung.
Du bist ja auch immer mit Dir allein und dem Bild.
D.B.: ... und der Musik im Hintergrund
...
I.F.: Die mache ich dann meistens
aus, wenn es kritisch wird. Dann brauche ich die
absolute Konzentration und Stille. Aber mit dem Malen ist es ja nicht getan.
Du musst die Bilder rahmen, auf Ausstellungen präsentieren.
Damit ist nicht nur viel Arbeit verbunden, das kostet auch alles viel Geld,
und Du mußt ständig rechnen und planen und alles
organisieren.
D.B.: Ausstellungen sind damit
Höhepunkte im Leben eines Malers?
I.F.: Sie sind einfach notwendig,
damit andere deine Kunst sehen und
kennenlernen können.
Ein Katalog ist ja nur ein Ersatz, und Atelierbesuche sind
nicht allen Menschen möglich,
die Interesse an meiner Kunst haben. Ohne Ausstellungen geht es nicht.
Ich bin freilich meist froh, wenn die Vernissage überstanden
ist.
D.B.: Warum?
I.F.: Nun, es ist wie bei einer
Prüfung oder Theaterpremiere:
Wird das, was du vorbereitet hast, auch gut ankommen beim Publikum?
Hinzukommt, daß du, wenn du anwesend bist, ständig gefragt wirst,
was dieses oder jenes auf diesem oder jenem Bild eigentlich bedeuten soll.
Mich ärgern solche Fragen, weil ich eben durch meine Bilder spreche
und eigentlich keine Erklärungen geben möchte. Das können andere tun,
wie Du zum Beispiel. Wozu male ich Bilder,
wenn ich sie dann umschreiben soll?
Dann könnte ich gleich Texte schreiben.
Aber mein Ausdrucksmittel ist nun einmal das Malen,
das Entwerfen, das Modellieren - alles was ein sogenannter
bildender Künstler eben macht.
D.B.: Eine Hilfe dafür, ein Bild zu
verstehen,
sind doch sicherlich auch die beigegebenen
Titel?
I.F.: Natürlich und es macht mir
Spaß welche zu finden.
Freilich, am liebsten würde ich alle Bilder ohne lassen,
weil die häufig anfangen, etwas zu erklären,
anstatt dem Betrachter zunächst die Anschauung freizuhalten.
Viele schauen ja zuerst auf den Titel, ehe sie sich ein Bild genauer ansehen,
und wenn ihnen der Titel nicht gefällt, gehen sie einfach
weiter.
D.B.: Warum haben die meisten Deiner
Bilder dann Titel?
I.F.: Das ist eine
didaktische Hilfe. Die Menschen können häufig
nicht die Kunst lesen.
Das will ich ihnen aber nicht zum Vorwurf machen. Hier versucht ja ein Subjekt,
der Künstler, eine eigene Welt in seiner Kunst zu bauen, seine eigene.
Buchstaben und Worte sind die Gemeinsprache, von der aus
dann auch wieder ein Sehprozeß in Gang gesetzt werden
kann.
D.B.: Kunst ist also schwerer zu
verstehen als ein Text?
I.F.: In gewisser Weise
schon. Ihre Zeichen ordnen sich nicht nach einer
Grammatik an,
die alle beherrschen. Und einen Wortschatz der Kunst gibt es auch nicht.
Ein gemaltes Bild ist zu komplex, es enthält sozusagen die ganze Welt in sich,
während ein Text seinen Sinn Stück für Stück und nacheinander entwickelt.
Aber darum ist die Kunst ja auch so wirkungsvoll und faszinierend -
sie führt uns über die Grenzen unserer Alltäglichkeit
hinaus.
D.B.: Darum malen vielleicht so viele
Menschen heute?
I.F.: Sicher, Kunst
kann helfen sich über sich und die Welt zu verständigen
und anderen das mitzuteilen. Aber Du darfst nicht vergessen, daß viele
„Sonntagsmaler“ bleiben. Sie malen, um sich abzulenken,
um ihren Feierabend sinnvoll zu gestalten oder warum auch.
Ein professioneller Künstler aber malt, weil er sonst nicht leben kann.
Das Ergebnis, das er produziert, mag etwas Schönes sein - aber es ist das
Resultat einer großen Anstrengung und lang dauernden
Konsequenz.
D.B.: Josef Beuys hat gesagt, alle Menschen
seien Künstler und schon der
amerikanische Beatnik Kerouac hat in den sechziger Jahren gesagt:
„Du bist allezeit ein Genie“ und meinte damit alle Leser
...
I.F.: Bei allem Respekt vor Beuys
- das halte ich für „populistischen Unsinn“.
Ich freue mich, wenn Menschen gern malen, denn dadurch lernen sie
Elemente dieser Sprache kennen. Aber wir reden ja auch alle
und benutzen die Sprache,
ohne dass wir uns Schriftsteller nennen. Es gibt nun einmal
einen Unterschied zwischen
Künstlern und Laien und der besteht in der Professionalität der Künstler.
Sie können auch nicht plötzlich oder beliebig aufhören zu malen
und etwas anderes tun.
Damit würden sie die Konsequenz ihres. ganzen Lebens,
ihre ganze bisherige Leistung vernichten.
D.B.: Das bedeutet, dass der
Künstler nie aufhören kann Künstler zu sein?
I.F.: Natürlich, er kennt keine
Pensionierung .. und kein Rentenalter. Künstlersein,
das ist nicht nur eine Profession, sondern auch eine
Obsession, manchmal quälend,
aber natürlich gibt es auch große
Glücksmomente.
D.B.: Was hältst Du von der
Computer-Kunst?
D.B.: Nicht viel. Ich glaube, die
ganz persönliche Handschrift eines Künstlers,
die Tatsache,
daß hier jemand mit seinem Körper, seinen Ausdrucksmitteln
etwas ganz Allmähliches schafft,
kann durch einen noch so raffiniert umgesetzten binären Code
nicht abgelöst werden.
Ich bin nicht technikfeindlich, im Gegenteil. Man sollte alles ausprobieren,
und ich werde sicherlich auch noch viele Kunstsprachen entdecken
und in meine Welt hereinholen. Aber eins darf ein Künstler nie vergessen:
Kunst rettet die Menschlichkeit.
D.B.: Das ist ein starker Satz, was
meinst Du damit?
I.F.: Gerade habe ich es
kurz erklärt: es ist der Künstler mit
seinem ganz persönlichen Einsatz,
mit seinen ihm eigenen Ausdrucksmitteln,
der zur realen Welt Deutungen und
Symbolsprachen hinzugibt, mit Hilfe seines Körpers,
seines Geistes, seiner Hände.
Der Mensch ist kein Automat, und gerade darum ist er nicht ersetzbar.
Es ist die Kunst, die an dieser ganz simplen Erkenntnis
festhält.
D.B.: Was geht Dir noch so durch den
Kopf, wenn Du malst?
I.F.: Manchmal setze
ich mich auch mit dem
Kunstbetrieb auseinander, in Gedanken.
Ich finde es nicht gut, daß eigentlich nur reiche Leute oder Firmen meine Bilder,
wenn sie größer sind und mehr kosten, kaufen können.
Ich male natürlich für alle Menschen,
aber nicht jeder kann sich einen „echten“ Fracasso leisten.
Das ist eigentlich schade, aber was soll ich machen?
Darum verkaufe ich zum Beispiel
am liebsten an Museen oder auch an Stellen,
die meine Bilder öffentlich aushängen.
D.B.: Meinst Du wirklich, dass alle
Menschen an Kunst Interesse haben?
I.F.: Dessen bin ich sicher. Wer nicht
in Museen geht,
hat vielleicht Angst sie zu betreten,
weil er nicht weiß, wie er sich benehmen soll.
Aber Kunst ist eine Grundsprache des Menschen,
und es liegt uns sozusagen im Blut uns für sie zu interessieren.
Der Kunstbetrieb mit seinen Streitereien, Trends,
mit seiner Proklamation von Künstlern,
die „in“ sind oder „modern“ oder „postmodern“
hat sich ziemlich getrennt vom natürlichen Leben,
vom Alltag der Menschen, und darum ist Kunst oft
etwas für Experten geworden.
D.B.: Gilt das nicht auch für Literatur,
für die Oper, kurz für alle Künste?
I.F.: Natürlich,
Expertenschaft gehört zu jedem Metier. Das meinte ich nicht.
Ich wollte vielmehr darauf hinweisen,
daß gerade die Kunst heute allzusehr in einen
„Kunstbetrieb“ einmündet, der alle Maße und Maßstäbe
verliert.
D.B.: Du mußt also einerseits
hinein in den „Kunstbetrieb“,
um als Künstler anerkannt zu werden,
willst aber andererseits auch draußen
bleiben?
I.F.: Das ist ein
schrecklicher Widerspruch, den ich leider als einzelne
Person nicht austreben kann.
Aber ich versuche, mich zu retten. Ich möchte nicht plötzlich
„hochgepusht“ werden,
und ein paar Jahre später dann fallengelassen,
wie es manchen Künstlern ergangen ist
oder ergeht. Ich baue vielmehr darauf, dass mein Werk
langsam und stetig wächst,
wie ein Baum, der immer mehr Ringe anlegt.
Konsequenz gehört zu einem guten Künstler,
und natürlich Fleiß. Ich hoffe, wenn ich beides habe,
daß der „Kunstbetrieb“ mich entdecken wird,
ohne mich verschlingen zu können.
Ein Künstler muß resistent sein gegen die Verführungen
eines allzu raschen Erfolgs,
der meist oberflächlicher Art ist.
D.B.: Deine Pasta sind kalt
geworden ...
I.F.: ... weil ich zuviel
geredet habe. Ich könnte stundenlang über
Kunst reden und alles,
was damit zusammenhängt. Leider reden die meisten Menschen
lieber über oberflächlichere Dinge ...
D.B.: Dann hat Dir also unser
Gespräch Spaß gemacht?
I.F.: Was, Du
willst schon aufhören über Kunst zu sprechen?
D.B.: Fürs Erste, lieber Freund,
fürs Erste.
Ich möchte mich jetzt ganz dem Essen
widmen.
I.F.: O.k., essen wir also
und reden ein andermal weiter ...
Das Interview fand am 30. März 1994
in der Trattoria Madonna in Venedig statt.
Die Fragen stellte Dieter Baacke,
der das etwa einstündige Gespräch auch kürzte und überarbeitete.